November 2012 Disput

Zwischen Vernetzung und Eitelkeiten

Ehrenamtliche Kreisbeigeordnete – was ist das denn?

Von Ulrike Schauß

Seit Juni 2011 bin ich, Ulrike Schauß, 46 Jahre alt, vom Kreistag im Main-Kinzig-Kreis - in Abwesenheit und unter neuem Namen - zur ehrenamtlichen Kreisbeigeordneten gewählt worden. Das klingt nicht nur seltsam, das war noch dazu einer Uneinigkeit der Grünen-Fraktion im Kreistag geschuldet. Die Wahl einer linken ehrenamtlichen Kreisbeigeordneten mit einer Drei-Personen-Fraktion im Rücken war total überraschend, das erklärt auch meine Abwesenheit. Sonst entspräche das nicht meiner Person. Umso amüsanter war dann meine Vereidigung, denn der Fraktionsvorsitzende Andreas Müller hatte mich umgehend informiert und ich konnte rechtzeitig zur Ernennung erscheinen. Und plötzlich war klar, da kam für einige im Kreistag kein ganz unbekanntes Gesicht. Meine ersten drei Sitzungen im Kreisausschuss waren begleitet von der nicht ganz einfach zu lösenden Aufgabe, wo die Vertreterin der LINKEN im Gremium sitzen soll.

So ähnlich ist es passiert - kein Grund für Eitelkeit.

Zur Kommunalpolitik bin ich genauso überraschend gekommen. Aus der Hanauer Ortsgruppe von attac quasi herausgeworben, kandidierte ich 2006 zunächst als Parteilose für DIE LINKE für das Stadtverordnetenparlament. Herausgerissen aus meinem Studium für Politikwissenschaft, rein in die politische Praxis. Das war mächtig anstrengend, alles neu, hat mir aber gefallen. Sehr spät, mit 34 Jahren, hatte ich in der Goethe-Universität Frankfurt meinen lang gehegten Traum verwirklichen und studieren können. Nun begannen, als ich auf die Vierzig zuging, meine Kommilitoninnen, mich mit »Sie« anzusprechen. Das war ein guter Zeitpunkt, um von der Theorie in die Praxis zu wechseln.

Zur Kommunalwahl 2011 bin ich knapp von meiner jetzigen Nachfolgerin überrundet worden, blieb meiner Fraktion weiterhin im »Backoffice« als Geschäftsführerin treu. Und wie die Politik so spielt, bin ich gerade als Ortsbeirätin wieder ins politische Leben von Hanau nachgerückt.

Nach der Kommunalwahl 2011 konnte ich endlich meinen gebürtigen Namen wieder annehmen. Scheinbar sehr unüblich, niemand kam auf die Idee, ich hätte mich entheiratet. Zugegeben, es schafft hin und wieder noch Verwirrung.

Was hat es auf sich mit diesem »fraktionsunabhängigen Empfehlungsgremium« Kreisausschuss? Leider gibt es viele Menschen, die mit den Details in Gemeindevorständen nicht vertraut sind. Das kann ich zur Kenntnis nehmen, es sind Zeichen unserer Zeit. Spezialisierte und verdichtete Arbeitswelten führen nicht zu erhöhtem politischem Interesse, obgleich es notwendiger denn je ist.

Einmal wöchentlich wird der Kreisausschuss vom regierenden Landrat (Erich Pipa) und den beiden hauptamtlichen Kreisbeigeordneten (André Kavai, Matthias Zach) einberufen. Im Main-Kinzig-Kreis tagt er mit 13 ehrenamtlichen Kreisbeigeordneten im Forum Gelnhausen. Die Referenten der Hauptamtlichen stehen den Beigeordneten fachlich zu Rate. Vor den Sitzungen beraten sich die Mitglieder der Parteien gemeinsam vorab: SPD (5), Grüne (1) und Freie Wähler (1) als regierende Fraktionsvertreter. Die CDU (4) berät sich intern und FDP (1) und DIE LINKE (1) jede für sich! Für Minderheitenvertreter/innen gibt es zwangsläufig Informationsdefizite. Das gilt für meine junge Fraktion und mich besonders. DIE LINKE ist erst in der zweiten Wahlperiode vertreten. Da hat die FDP-Vertreterin im Kreisausschuss noch eher Informationsvorsprünge, da sie auf langjährige Kontakte bis in den Landtag zurückkommen kann.

Den öffentlichen Kreistags-Sitzungen dürfen die ehrenamtlichen Kreisbeigeordneten nur als stille Repräsentantinnen und Repräsentanten beiwohnen. Ihre Funktion beschränkt sich auf die Diskussion und Verabschiedung der Verwaltungsvorlagen vorab im Kreisausschuss. Sie unterliegen der Geheimhaltungspflicht gegenüber ihren Fraktionen und Parteien. Für mich bedeutet das, möglichst gute Fragen zu stellen, die unter Umständen vorhandene Schwachstellen im Vorfeld aufdecken können. Das kann maximal dazu führen, dass Vorlagen noch einmal überarbeitet werden. Im Grunde wird aber vom Landrat mächtig »durchregiert«; da muss sich in dem Kollegialorgan niemand was vormachen. Parteipolitik wird dort nicht geduldet, jedes Kreisausschussmitglied ist dem eigenen Gewissen verpflichtet.

Ehrenamtliche Kreisbeigeordnete zu sein, ist keine einfache Aufgabe in Anbetracht des gesamten Repertoires für eine Gemeinderegierung. Eingangs erwähnte ich, dass die Hauptamtlichen ihre Referenten zur Unterstützung haben, der oder die Ehrenamtliche natürlich nicht. Doch Fragen werden bei gegebenem Anlass aktuell von Amtsvertretern beantwortet. Zu den verantwortungsvollen Aufgaben gehören ebenso Gesellschafterversammlungen der GmbHs des Kreises.

Letztlich darf sich Frau was zutrauen, vor allem dranbleiben, Erfahrungen sammeln, aufgeschlossen bleiben und viele Fragen stellen. Es gibt schlaue und gute Fragen, heikle Fragen, aber es gibt fast keine dummen Fragen. Und wenn doch, dann Mut zur Lücke! Wer kommt schon als Kommunalpolitikerin oder Kommunalpolitiker zur Welt? In die kommunalpolitischen Gremien hat viel Spezialwissen Einzug gehalten. Das darf keine Frau von ihrem Engagement davon abhalten, für Demokratie und für die Idee zu einer sozial gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft konstruktiv zu streiten. Mit langem Atem, Geduld und Vertrauen für die richtige Sache zu stehen und bei sich zu bleiben.

Nach vielen Höhen und Tiefen in der Kommunalpolitik kann ich für mich sagen, dass es kein spontaner Job ist, den man/frau so eben nebenbei und punktuell machen kann. Dafür müssen gerade kleine Fraktionen zu viele Themenfelder abdecken. Leidenschaft gehört allemal dazu, genau im Sinne dieses Wortes. Ich lerne viel dabei. Erfahrungen, Kontakte und Vernetzungen werden mit der Zeit immer wertvoller. Die Welt lässt sich nicht grundlegend aus diesen Gremien retten. Aber es ändert sich doch etwas in der Lebenswelt, in der ich mich politisch aktiv einmische. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

Ulrike Schauß ist Kreisbeigeordnete im Main-Kinzig-Kreis (Hessen).