Wohnen ist ein Menschenrecht: Bezahlbaren Wohnraum schaffen und öffentliche Daseinsvorsorge erhalten!

3. Wiesbadener Erklärung linker Kommunalpolitiker_innen in Hessen vom 15. September 2012

Die Situation auf dem hessischen Wohnungsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren weiter
zugespitzt. Immer häufiger trifft man auf Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Anstieg der
"Zweiten Miete" aus Energie- und Nebenkosten, Verdichtung, Leerstand, Verdrängung und
Privatisierungen. Die Wohnungspolitik der vergangenen Jahre hat maßgeblich dazu
beigetragen, dass heute in den Ballungsgebieten die Nachfrage nach Wohnungen im mittleren
und unteren Preissegment nicht mehr bedient werden kann. Statt den zunehmenden Bedarf
an preisgünstigen Mietwohnungen zu decken, wird der Bau von Eigentumswohnungen
bevorzugt gefördert.

Gleichzeitig finden wir im ländlichen Raum Hessens einen wachsenden Wohnungsleerstand
vor. Fehlende Arbeitsplätze, zurückgehender ÖPNV in der Fläche und fehlende
Nahversorgung sind vielerorts Gründe für den Umzug von Menschen aus den
ländlichen Gegenden in die Ballungszentren. Diese führt zu einer kaum mehr hinnehmbaren
Verdichtung dort. Die Städte wachsen auf Kosten der Menschen, die dort leben.
Diese Entwicklungen am hessischen Wohnungsmarkt haben zu einer erheblichen
Verschlechterung der Situation vor allem für Menschen mit geringem Einkommen gesorgt.
Wir, linke Kommunalpolitiker_innen aus Hessen, fordern daher ein grundlegendes Umdenken
in der Wohnungspolitik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.

Umkehr beim sozialen Wohnungsbau in Hessen

Die Zahl der Sozialwohnungen in Hessen ist in den letzten 20 Jahren deutlich
zurückgegangen. Offiziellen Angaben zufolge gab es Ende 2011 landesweit nur noch 123.000
Wohneinheiten gegenüber 206.000 im Jahr 1991. Dieser drastische Rückgang der Förderung
im sozialen Wohnungsbau führte dazu, dass Ende 2011 rund 40.000 Anträge auf Vermittlung
einer Sozialwohnung nicht berücksichtigt werden konnten. Die Zahl der Haushalte mit
Anspruch auf sozial geförderten Wohnraum, die auf den privaten Wohnungsmarkt ausweichen
mussten und nun bis zu 50% des Haushaltseinkommens für die Miete aufbringen, liegt noch
wesentlich höher.

Dieser unhaltbare Zustand muss beendet und die Investitionen im sozialen Wohnungsbau auf
Landes- und kommunaler Ebene deutlich erhöht werden. Hierzu gehören vor allem auch
zentrale soziale Korrekturen am vorgelegten ersten Entwurf des "Gesetzes über die Förderung
von sozialem Wohnraum in Hessen" der schwarz-gelben Landesregierung.

Erhalt und weiterer Ausbau öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften

In den letzten Jahren veräußerten Kommunen ihre kommunalen Wohnungsbaugesellschaften,
um ihre klammen Finanzen, die durch Bundes- und Landesebene ruiniert wurden, zu sanieren.
Die Folgen für die Mieter_innen waren stets Verunsicherungen, Mieterhöhungen und daraus
resultierende Verdrängung aus ihren bisherigen Wohnungen und für die Städte zunehmende
Probleme in der Stadtentwicklung, insbesondere im Erhalt und in der Verbesserung der
Gebäudesubstanz.

Der massive und breite Protest, an dem auch linke Kommunalpolitiker_innen beteiligt waren,
bewirkte in diesem Jahr, dass die hessische Landesregierung auf den Verkauf der
landeseigenen Nassauische Heimstätte- Wohnstadt oder deren Anteile verzichtete. Nach
monatelangem Hinhalten durch die hessische Landesregierung wurden die Verkaufspläne im
Juni vorerst wieder zurückgenommen.

Die engagierte Beteiligung von Mieter_innen an den Protesten verdeutlicht zudem, dass das
Instrument der Mieterbeiräte in öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften gestärkt werden
muss, die frühzeitig in alle relevanten Fragen mit einzubeziehen sind. Die Satzungen der
öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften sind dahingehend zu ergänzen.

Die Fehlbelegungsabgabe muss von der Landesregierung wieder eingeführt werden, da den
Kommunen dieses Geld zum dringend benötigten Ausbau und zur Sanierung von
Sozialwohnungen sowie beim Rückkauf von Sozialbindungen fehlt.

Die Verantwortung für eine soziale Wohnungspolitik ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge.
Mieterinnen und Mieter dürfen nicht der Willkür eines freien Wohnungs- und Finanzmarkts
überlassen werden. Wohnungspolitik ist eine Kernaufgabe der Landespolitik und muss das
auch bleiben!

Wohnraum muss bezahlbar sein

Vor allem im Ballungsraum Rhein-Main müssen Hessens Haushalte heute häufig 40% bis 50%
des Einkommens für Mieten und Nebenkosten aufwenden. Vor allem bezahlbarer Wohnraum
für Ein- und Zwei-Personen-Haushalte, kinderreiche Haushalte und für Senior_innen wird
immer mehr zu Mangelware. Wichtigste Ursache für diese Entwicklung ist der Mangel an
sozial gebundenem Wohnraum.

Deshalb ist eine deutliche Erhöhung der finanziellen Mittel für die Schaffung von neuen,
bezahlbaren Sozialwohnungen unumgänglich. Zusätzlich sollte vor Ort die Vorlage eines
kommunalen Wohnraumversorgungskonzeptes eingefordert werden, der eine ausführliche
Analyse des regionalen Wohnungsmarktes beinhaltet, den detaillierten Bedarf an Wohnraum
analysiert und konkrete Handlungsvorschläge unterbreitet. Die Kommunen müssen wieder
mehr bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen. Unvermeidlich ist dazu auch der
Rückkauf von Sozialbindungen durch die Kommunen um den ständig weiter sinkenden
Bestand an Sozialwohnungen umzukehren. Ebenso ist die Schaffung barrierefreier und
altengerechter Wohnungen voran zu treiben.

Das Problem der "Zweiten Miete", also die stark ansteigenden Nebenkosten ist ein weiteres
Problem für Mieter_innen. Auch hier muss Politik gegensteuern und geeignete Maßnahmen
ergreifen. Deshalb dürfen die Kosten der Energiewende nicht einseitig den Mieter_innen
aufgebürdet werden. Land und Kommunen müssen als Miteigentümer öffentlicher
Versorgungsbetriebe auf eine verantwortungsbewusste Verbrauchspreisgestaltung hinwirken.
Gleichzeitig müssen privatisierte Versorgungsbetriebe für Wasser, Gas und Strom
rekommunalisiert werden. Die Hartz IV – Sätze für Energie müssen den Kostensteigerungen
der letzten Jahre angepasst werden.

Darüber hinaus ist ein mieterfreundlicher Umgang mit energetischen Sanierungen notwendig.
Um den Anstieg von Warmmieten infolge energetischer Sanierungen zu verhindern, brauchen
wir ein Konzept zur sozialen Begleitung solcher Gebäudesanierungen. Die Möglichkeit zur
vollständigen Umlage solcher Investitionen auf die Mieterinnen und Mieter muss abgeschafft
werden.

Ziel muss es sein, dass kein Haushalt mehr als 30% des Familiennettoeinkommens für Miete
inklusive Nebenkosten, aufwenden muss.

Um dieses Ziel zu erreichen werden wir uns in den Kommunen für die Wiedereinführung des
Wohnraumzweckentfremdungsgesetzes einsetzen.

Förderung studentischen Wohnraums

Die Wohnraumsituation für Studierende an den hessischen Hochschulstandorten ist seit
langem unzumutbar. Der derzeit aufgrund von G8 wachsenden Zahl von Studierenden steht
eine unzureichende Zahl von Wohnheimplätzen gegenüber. Hessenweit können die
Studentenwerke nicht einmal 10% der Studierenden mit Wohnheimplätzen versorgen.
Die weit überwiegende Zahl der Studierenden muss sich am freien Wohnungsmarkt
versorgen, oftmals zu völlig überhöhten Mietpreisen oder gar zu "Wohnen für Hilfe".
Studierende dürfen aber weder für die Profitinteressen von Immobilieninvestoren noch als
billige Haushaltshilfen ausgenutzt werden.

Die Studentenwerke und die Nassauische Heimstätte- Wohnstadt sind finanziell in die Lage zu
versetzen, allen Studierenden, die einen Wohnheimplatz in Anspruch nehmen wollen,
geeigneten Wohnraum zur Verfügung zu stellen.