Hanauer Straßenbahn GmbH verzichtet auf Strafantrag bei Erschleichung von Beförderungsleistungen

Jochen Dohn

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,
Sehr geehrte Damen und Herren,

es geht um das Erschleichen von Beförderungsleistungen, es geht um Fahren ohne gültigen Fahrschein. Es geht nicht um Fahrten ohne Führerschein. Es geht auch nicht, um Parken ohne gültigen Parkschein, denn beim Falschparken wird nicht automatisch eine Strafanzeige gestellt.

Fahren ohne gültigen Fahrschein ist kein Kavaliersdelikt, es ist auch kein Hobby, sondern resultiert nicht selten aus sozialer Not heraus. Die Frage ist nur, muss es neben den 60 Euro für das sogenannte erhöhtes Beförderungsentgelt auch eine Strafanzeige geben? Grundlage ist der Paragraf 265a im Strafgesetzbuch: „Erschleichen einer Leistung“ – der ist ein Relikt aus dem Jahr 1935.

Grundsätzlich steht es jedem Verkehrsbetrieb frei, wie er damit verfährt. Denn bei einer Geringwertigkeit wird die Straftat gemäß § 248a StGB nur auf Antrag verfolgt. Derzeit wird die Grenze der Geringwertigkeit zwischen 25 und 30 Euro angenommen. Der Wert der erschlichenen Fahrt dürfte einiges niedriger sein.

Meine Damen und Herren,
die Anfrage meiner Fraktion, die in der letzten Stadtverordnetenversammlung vorgelesen wurde, hat ergeben, dass die Hanauer Straßenbahn GmbH alle dieser Fahrten ohne gültigen Fahrschein zur Anzeige gebracht hat. Gleichzeitig wird jedoch darauf hingewiesen, dass viele dieser Anzeigen wegen Geringfügigkeit niedergeschlagen werden.

Wenn nun im Jahr 2022 3.268 Fahrgäste sowie 2023 2.580 Fahrgäste ohne Fahrschein angetroffen wurden und etwa 30 % ihren Fahrschein nur während der Kontrolle nicht mitgeführt hatten, dann gab es in den letzten 2 Jahren immerhin fast 4.100 Strafanzeigen.

Und was passiert dann? Wie schon erwähnt, schlagen Gerichte Anzeigen wegen Geringfügigkeit nieder, oder sie verhängen immer häufiger Geldstrafen. Das heißt, wer es sich leisten kann, zahlt und bleibt auf freiem Fuß. Anderen müssen Arbeitsstunden ableisten. Oder im schlechtesten Falle, landen diese im Knast. Jedes Jahr werden so in Deutschland über 50.000 Menschen inhaftiert, und zwar in der Regel nicht, weil sie nicht zahlen wollen, sondern weil sie nicht zahlen können. Über 90 % dieser Menschen wurden wegen geringfügiger Straftaten verurteilt, die vor allem mit Armut zusammenhängen. Beispielsweise eben durch Fahren ohne gültigen Fahrschein oder durch Lebensmitteldiebstahl.

Der Anteil derjenigen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe in den Gefängnissen verbüßen, steigt. Dreiviertel dieser Menschen sind von Suchterkrankungen, psychischen Problemen, Arbeitslosigkeit, Überforderung im Alltag oder Wohnungslosigkeit betroffen. Zumal alleine ein Hafttag in Hessen 130,- Euro kostet.

Aus guten Gründen wird darüber diskutiert, Fahren ohne gültigen Fahrschein zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Selbst der Deutsche Richterbund und der Deutsche Anwaltsverein ist dafür. Zumal Gerichte und die Staatsanwaltschaft dadurch entlastet werden. Und es gibt Städte, die auf eine Anzeige verzichten, wie etwa Wiesbaden.

Meine Damen und Herren,
Sie sollten unseren Antrag unter sozialpolitischen Gesichtspunkten sehen, und nicht unter dem Motto: „Strafe muss sein“. Aber selbst dann, sind die 60,- Euro Strafe genug, denn auch dieses erhöhte Beförderungsentgelt können nicht alle bezahlen. Ebenso bleiben die Kontrollen in den Bussen und somit die Abschreckung erwischt zu werden. Die Hemmschwelle wird nicht wie befürchtet herabgesetzt. Genauso bleiben bei der HSB auch die erzielten Einnahmen durch das erhöhte Beförderungsentgelt. In den letzten beiden Jahren immerhin 147 Tsd. Euro.

Bedarf es dann wirklich noch einer Strafanzeige durch die HSB? Und wenn Sie dies mit "Ja" beantworten -  bedarf es dann nicht auch eine Strafanzeige beim Falschparken?