14.08.2013 Offener Brief des Sozialforums

Offener Brief an den Sozialdezernent der Stadt Hanau Weiss-Thiel 

Betreff: Wohnungsräumungen in der Daimlerstrasse

Sehr geehrter Herr Weiss-Thiel,

aus der Zeitung haben wir erfahren, dass in der Daimlerstraße Zwangsräumungen von mehreren Wohnungen anstehen. Wir haben daraufhin mit einigen der Betroffenen direkt gesprochen. Mit Erschrecken haben wir festgestellt, welches Ausmaß die Folgen dieser Räumungen für diese haben werden:

Wir wissen inzwischen von mindestens neun betroffenen Mietparteien, darunter sind viele Familien mit teils kleinen Kindern. Es scheinen einige Räumungen schon in Kürze, am 22.August, anzustehen.

Die Betroffenen mit denen wir sprachen sind rumänische Staatsangehörige. Dass sie nicht in der Lage waren ihre Miete zu zahlen, erscheint im engen Zusammenhang mit ihrem fehlenden Zugang zu Sozialleistungen und der Nachrangigkeit im Zugang zum Arbeitsmarkt zu stehen. Ihnen wird außerdem ein Zugang zu ausreichender Nahrung, medizinischer Versorgung, Wohnraum und zu Bildungsangeboten weitgehend verwehrt. Das gilt in diesem Zusammenhang für alle anderen neuen EU-BürgerInnen aus Rumänien, Bulgarien und Kroatien.

Überraschenderweise konnte uns keine/r der Betroffenen sagen, welche Lösungen seitens der Stadt wegen der drohenden Obdachlosigkeit angeboten werden. Diejenigen mit denen wir sprachen rechneten durchweg damit, dass sie danach auf der Straße schlafen müssen. „Wir haben uns unsere Brücke schon ausgesucht.“ So sagen viele der Betroffenen. Auch in einem Artikel der Frankfurter Rundschau vom 3./4.August ist eine Familie porträtiert, die von der Obdachlosigkeit bedroht ist.

Wir konnten in der Kürze der Zeit nicht herausfinden, wie viele Menschen von diesen Räumungen betroffen sein werden, denn viele der Wohnungen sind von sehr vielen Menschen bewohnt (manchmal mehr als 10 Personen in einer Wohnung).

Es kursieren viele Gerüchte, die die betroffenen Menschen offensichtlich stark verunsichern. Für regelrechte Panik sorgt die Behauptung, dass Kinder von ihren Familien getrennt und „in Obhut“ genommen werden sollen.

Unser Eindruck ist, dass seitens der Stadt keiner mit den Betroffenen direkt geredet hat und es keine Informationen gibt, wie die drohende Obdachlosigkeit verhindert werden soll. Ist es tatsächlich so, dass die Stadt Hanau, wie es den Anschein hat, ihrer gesetzlichen Pflicht nicht gerecht wird, der drohenden Obdachlosigkeit entgegenzuwirken, sondern im Gegenteil diese sehenden Auges provoziert?

Aus der Berichterstattung in den Medien drängt sich der Eindruck auf, dass diese Art des Umgangs damit zu tun hat, dass die zumeist rumänischen Staatsangehörigen hier als BürgerInnen zweiter Klasse behandelt werden. Alle Familien, mit denen wir gesprochen haben, haben in Rumänien keine Lebensperspektive entwickeln können und können laut eigener Aussage nicht zurückkehren. Da es sich hauptsächlich um Roma-Familien handelt, die dort noch stärkerer Diskriminierung und Benachteiligung ausgesetzt sind als hier vor Ort, kommt diese Option für keinen von ihnen in Frage. Inzwischen sind viele der  in der Daimler-Straße lebenden Kinder in Hanau geboren.

Wir sind der Meinung, dass hier eine stille Vertreibung droht und die Betroffenen mit der Androhung der Wegnahme ihrer Kinder nur dazu gebracht werden sollen zu verschwinden. Diese unrealistische und unsoziale Strategie der Stadt wird unserer Einschätzung nach nur zu einer Verschärfung der Situation in Hanau führen.

Es entsteht zudem der Eindruck, dass es bei diesen 9 Wohnungen nicht bleiben wird.

Durch den bewusst produzierten Mangel an sozialem Wohnraum in Hanau und anderen Städten werden Situationen wie in der Daimlerstraße hervorgerufen, die die Menschen in existenzielle Notlagen bringt.

Wir fordern:

Akut müsste das Problem gelöst werden, indem die Stadt direkt die Familien wieder in die Wohnungen einweist. Obdachlosigkeit und Familientrennung bedeuten keine soziale Lösung.

Die Stadt muss den Betroffenen Zugang zu medizinischer Versorgung, Wohnraum, Bildungsangeboten und Nahrung gewähren.

Wir sehen Sie und die Stadt Hanau in der Pflicht, die Not der in der Daimlerstraße lebenden Menschen nicht noch zu vergrößern.

Wir kündigen hiermit an, dass wir die Räumungen am 22.August und auch danach kritisch begleiten werden. Die Betroffenen wünschen sich, dass möglichst viele HanauerInnen sich an diesem Tag solidarisch zeigen – wir werden diesem Wunsch nachkommen.

 

Hanauer Sozialforum/ AG Daimlerstrasse

c/o Metzgerstr.8

63450 Hanau

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