11.09.2013 Rede von Oberbürgermeister Kaminsky anlässlich der Gegendemo zur NPD-Kundgebung

Es ist gut, dass Sie alle wieder da sind.
Es ist traurig und enttäuschend, dass Sie heute wieder alle da sein müssen.

Es ist noch keine 3 Wochen her, dass wir uns hier an gleicher Stelle versammelt haben, um ein deutliches Signal zu geben: in unserer Stadt ist kein Platz für Nazis!
Rund 600 Menschen haben bei der Gegendemonstration zur NPD-Kundgebung am 27. August Gesicht gezeigt. So erfreulich diese große Beteiligung war, hat sie uns auch die Kritik eingebracht, dass wir mit unserem gemeinsamen Bekenntnis gegen Rechts, der NPD mediale Aufmerksamkeit in unverdienter Breite verschafft haben.
Ich gebe zu, wir befinden uns hier in einem Dilemma. Wir haben uns trotzdem heute wieder für den gleichen Weg entschieden, nämlich, der NPD einmal mehr zu zeigen, dass wir sie hier nicht haben wollen. Warum?
Weil wir nicht nur in Sonntagsreden das friedliche Miteinander einer bunten und pluralistischen Stadtgesellschaft feiern wollen. Wir wollen es leben! Weil Menschen, die hier leben, es nicht verdienen, durch die Parolen und Hetztiraden der NPD in Angst und Schrecken versetzt werden. Gemeinsam stellen wir uns diesem Gedankengut entgegen! Alle jene, die die NPD in Angst und Schrecken versetzt, brauchen auch unsere öffentliche Solidarität.
Weil Hanau – weil unsere Stadt – schon einmal erleben musste, was passiert, wenn man den Nazis und ihren Ideen ungehindert Raum gibt. 230 jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger und 39 Sinti und Roma wurden von den Nazis von Hanau aus direkt in Vernichtungslager gebracht und dort ermordet. Am 19. März 1945 verloren - als direkte Folge eines Krieges, der von den Nazis angezettelt wurde - 2003 Menschen ihr Leben. 90 % aller Häuser – öffentlich wie private - fielen dem Bombenhagel zum Opfer.
Weil wir 2005 die Wiedergründung einer jüdischen Gemeinde in unserer Mitte gefeiert haben.
Weil wir Gräber von Holocaust überlebenden Sinti und Roma auf dem Hauptfriedhof pflegen.
Unsere Geschichte hat uns gelehrt: mit Schweigen und Ignorieren lässt sich das Problem der rechtsextremistischen Bewegung nicht aus der Welt schaffen. In einer wehrhaften Demokratie dürfen wir uns nicht, wie kleine Kinder verhalten, die sich die Augen zuhalten und hoffen, dass sie dann keiner sieht!
Und wer glaubt, dass heute alles anders ist, den könnte ich ganz schnell eines Besseren belehren, in dem ich kurz aus den E-Mails zitiere, die mich seit einigen Tagen erreichen, das tue ich bewusst hier nicht, um den widerwärtigen Parolen keinen Raum zu bieten.
Nur so viel: einer der sich feige hinter „Anonymus“ verbirgt will den Oberbürgermeister der Stadt Hanau – also mich – ich zitiere: „… ins Arbeitslager verfrachten, bei Regenwasser und Schimmelfladenbrot“ und das, weil ich „der Todfeind der Meinungsfreiheit“ sei, der das deutsche Volk zur Minderheit im eigenen Land machen will“
Auch laut des ganz aktuellen Verfassungsschutzberichtes des Hessischen Innenministeriums, der gestern druckfrisch bei mir eingegangen ist, stellt die NPD – ich zitiere: „bundesweit die relevanteste Bedrohung für die Grundwerte unser freiheitlichen demokratischen Grundordnung dar.“
Dort heißt es – ich zitiere weiter: „Die NPD hat sich zum Ziel gesetzt, die parlamentarische Demokratie von innen heraus, d.h. mittels Parteiarbeit, abzuschaffen und das gegenwärtige politische und gesellschaftliche „System“ durch eine ethnisch homogene „Volksgemeinschaft“ zu ersetzen.“
Was die Rechtsextremen darunter verstehen, haben wir auch in der Neuzeit ja schon erleben müssen. Zehn brennende Kerzen erinnerten bei der Gedenkfeier am 23. Februar vergangenen Jahres an zehn ausgelöschte Leben durch rechte Gewalt.
Bei der Gedenkfeier äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr deutlich. Ich darf zitieren:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ – So beginnt unser Grundgesetz. Das war die Antwort auf zwölf Jahre Nationalsozialismus in Deutschland, auf unsägliche Menschenverachtung und Barbarei, auf den Zivilisationsbruch durch die Shoah. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Das ist das Fundament des Zusammenlebens in unserem Land, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Wann immer Menschen in unserem Land ausgegrenzt, bedroht, verfolgt werden, verletzt das die Fundamente dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung, verletzt es die Werte unseres Grundgesetzes.“ Ende des Zitates.
Dem ersten dieser NSU-Opfer, Enver Simsek ist heute – keine 50 km von hier entfernt – in Schlüchtern eine ökumenischen Andacht gewidmet, an deren Ende eine Bronzeplatte zum Gedenken an ihn enthüllt wird.
Und weiter die Bundeskanzlerin in der gleichen Rede: „Doch Intoleranz und Rassismus äußern sich keineswegs erst in Gewalt. Gefährlich sind nicht nur Extremisten. Gefährlich sind auch diejenigen, die Vorurteile schüren, die ein Klima der Verachtung erzeugen. Wie wichtig sind daher Sensibilität und ein waches Bewusstsein dafür, wann Ausgrenzung, wann Abwertung beginnt. Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit stehen oft am Anfang eines Prozesses der schleichenden Verrohung des Geistes. Aus Worten können Taten werden. Der irische Denker Edmund Burke hat einmal gesagt – ich zitiere: „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.“ Ja, Demokratie lebt vom Hinsehen, vom Mitmachen. Sie lebt davon, dass wir alle für sie einstehen, Tag für Tag und jeder an seinem Platz. Demokratie zu leben mutet uns zu, Verantwortung zu übernehmen für ein Zusammenleben in Freiheit – und damit für ein Leben in Vielfalt. Gelingt dies, kann Vielfalt ihren Reichtum zum Besten aller entfalten.“ – Zitat Ende
Meine Damen und Herren,
wenn es also viele gute Gründe gibt, hier zu stehen und zu demonstrieren, dass wir die Nazis nicht mehr wollen, gilt es auch für uns, sich an die Regeln der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu halten.
Das Gewaltmonopol des Staates ist eine freiheitliche, demokratische und rechtstaatliche Errungenschaft.
Die staatliche Polizei ist gehalten, jede Form von Gewalt - wie zum Beispiel Steinwürfe - konsequent zu unterbinden und die Täter dingfest zu machen. Das ist gut so. Gewalt ist nicht legitimierbar.
Ich rufe zu Besonnenheit und Zurückhaltung auf! Wir treten ein für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und ein friedliches tolerantes Miteinander aller Menschen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und herzlichen Dank, dass Sie heute da sind.